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Routiniert und international vernetzt – der dritte „Marsch für das Leben“ in Köln

Dieser Text wurde veröffentlicht am:

3. November 2025

Am 20. September rief der Bundesverband Lebensrecht, kurz BVL, zum dritten Mal zum sogenannten „Marsch für das Leben“ in Köln auf. Ein gemeinsamer Bericht der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Köln und Spotlight - Antifeminismus erkennen und begegnen:

Am 20. September rief der Bundesverband Lebensrecht, kurz BVL, zum dritten Mal zum sogenannten „Marsch für das Leben“ in Köln auf. Im BVL finden sich verschiedene Organisationen zusammen, die sich zu der sogenannten „Lebensschutzbewegung“ (Pro-Life) zählen. Rund 1.700 Menschen folgten dem Aufruf. Damit blieb die Teilnehmendenzahl erneut hinter den Erwartungen der VeranstalterInnen zurück. Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Anzahl der Teilnehmenden sogar ab. Parallel zu Köln fand ein gleicher Marsch in Berlin statt.

 

Die Mobilisierung zum „Marsch“, welcher dieses Jahr unter dem Motto „Lebensrecht ist Menschenrecht“ stand, fand über die üblichen Kanäle des BVL, von Aktion Lebensrecht für alle e.V. (kurz: ALfA) und verschiedenen Bistümern statt. Für die teilnehmenden und aufrufenden Organisationen beginnt das Leben bereits mit der Zeugung. Schwangerschaftsabbrüche werden pauschal als „Tötungen“ bezeichnet und strikt abgelehnt. Unter dem Begriff „Lebensrecht“ werden aber auch weitere Aspekte gefasst, wie etwa die Ablehnung von Pränataldiagnostik und Sterbehilfe. Diese werden jedoch meist – wie auch in diesem Jahr – bloß randständig erwähnt. Hauptanliegen der AkteurInnen rund um den Marsch sind der Schutz des „ungeborenen Lebens“ und der traditionellen Familie.

 

Der Einsatz gegen Schwangerschaftsabbrüche und ‚für das Leben‘ wird durch einen positiven Bezug auf das klassische Familienbild von „Vater-Mutter-Kind(ern)“ ergänzt und gliedert sich allgemein in konservative und traditionalistische Geschlechterbilder ein. Hierzu wurde auch der auf das Datum des Marsches fallende Weltkindertag instrumentalisiert, auf den mehrfach Bezug genommen wurde. Kinderrechte lehnt das Bündnis rund um den Marsch ab und sieht diese bereits in den Menschenrechten verwirklicht. (1) Kinderrechte werden hier stattdessen zum ‚Recht auf Leben‘ umgedeutet.

 

Auch in diesem Jahr kamen wieder AbtreibungsgegnerInnen jeder Colour zusammen. Zu sehen waren unter anderem christlich motivierte Einzelpersonen, Bischöfe, erzkatholische Gruppen und extrem rechte AkteurInnen. Mit darunter waren beispielsweise Sylvia Pantel (WerteUnion), Mathias von Gersdorf (TFP) und die katholische Gruppierung Christkönigtum um Gordon Haupt, die zuletzt Kampfsporttrainings für Männer in Witten organisiert hatte (Dahm 2025). Außerdem Regnum Christi und VertreterInnen der extrem rechten, internationalen Kampagnenplattform CitizenGo, die u.a. bestens vernetzt ist mit der spanischen Partei VOX und der Alternative für Deutschland (AfD).

 

Von der Bühne durfte u.a. Felix Böllmann sprechen. Er sprach für die Lobbygruppe ADF International, ebenfalls eine internationale, ultra-rechte und fundamentalistische Lobbygruppierung mit Hauptsitz in den USA. Die Alliance Defending Freedom (kurz: ADF) wendet sich insbesondere gegen die Rechte von LGBTIQ* und gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Sie gilt als „juristischer Arm“ der christlichen Rechten. Neben Konferenzen und Lobbytreffen stößt sie diverse gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung eines erzkonservativen Rollbacks an. Böllmann echauffierte sich in seiner Rede u.a. über das Verbot von Gehsteigbelästigungen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und Kliniken, die Abtreibungen durchführen. Er benennt das Verbot als Teil „staatlicher Zensur“ und rief dazu auf, sich „nicht den Mund verbieten“ zu lassen.

Auch der bekannte Anti-Choice Vertreter Prof. Dr. Cullen, stellvertretender Vorsitzender des BVL und Ehrenvorsitzender von Ärzte für das Leben, hielt eine vergleichsweise kurze Rede.

 

Die Jugendorganisation von ALfA, die Jugend für das Leben, rief auch dieses Mal zu einem Aktionswochenende rund um den Marsch auf. Eingeladen waren zwei US-amerikanische Aktivistinnen von „Progressive Anti-Abortion Uprising”, kurz PAAU, das sich selbst als linkes Projekt versteht und gegen Abtreibungen eintritt. Sie stehen für eine radikalisierte Szene, an der sich eine deutsche Bewegung ein Vorbild zu nehmen scheint (Dahm 2025). Die Einladung der beiden US-Amerikanerinnen kann als Versuch gedeutet werden, Sympathien über konservative Kreise hinaus zu wecken und eine internationale Vernetzung voranzutreiben.

Daneben stellte Dr. Elisabeth Luge den Verein Teen Star vor, der christlich geprägte Sexualerziehung an Schulen anbietet. Als Grundwerte der Sexualaufklärung benannte sie einen verantwortlichen Umgang mit Sexualität durch verbindliche Beziehungen – die Ehe – und die Achtung vor dem Leben „von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod“. Dabei appellierte sie insbesondere an die Emotionen der Anwesenden. So sei eine der größten Sehnsüchte heutiger Kinder und Jugendlicher der Wunsch nach einer intakten Familie, Liebe und Wertschätzung. Durch eine Pädagogik der Vielfalt sowie die vermeintliche Propagierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei dies jedoch gefährdet. Hierbei handelt es sich um gängige antifeministische Agitationen. Neben der Ablehnung von sexueller Selbstbestimmung wird auch das in antifeministischen Kreisen verbindende Element der Queerfeindichkeit deutlich.

 

Nicht zuletzt stellte Sarah Göbel das Projekt Patin für 9 Monate vor, bei dem Schwangere dazu ‚ermutigt‘ werden, sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden – selbst bei schwerer Krankheit und geringen Überlebenschancen des Kindes.

Anders als im letzten Jahr bewarb die Kölner AfD den „Marsch für das Leben“ nicht auf ihrer Website. Dennoch war die AfD durch den extrem rechten AfD-Lokalpolitiker und Medienaktivisten Felix Helleckes vertreten. Er streamte die Veranstaltung bei YouTube und unterhielt sich vor Ort mit dem fundamentalistisch-katholischen Videoblogger „Kewin Miś“(Katholische Antwort/Christkönigtum). Weiter tauschte sich Helleckes mit dem rechten Medienaktivisten Florian Zender vom AfD-Kreisverband Bitburg-Prüm sowie den AnhängerInnen des verschwörungsideologischen Utopia TV Deutschland aus.

 

Zum ersten Mal nahmen auch rechte Aktivistinnen von Lukreta an der Veranstaltung teil. So posierte etwa Reinhild Boßdorf mit zwei weiteren rechten Aktivistinnen mit einem themenspezifischen Schild auf dem Neumarkt. Es verwundert kaum, dass die Mitglieder von Lukreta schnell wieder von der Veranstaltung verschwanden, nachdem Fotos für die mediale Selbstinszenierung geschossen wurden.

 

Weiter waren 15 – 20 Mitglieder der reaktionären und international aufgestellten TFP Students Action mit Banner, Dudelsack und Gebeten auf der Veranstaltung vertreten. Bei der Interessenvertretung TFP (Tradition, Familie, Privateigentum) handelt es sich um eine reaktionäre, schwerreiche und rechtskatholische Organisation, welche offen für mittelalterliche Zustände kämpft – inklusive einer Vormachtstellung des Adels. Ursprünglich aus Brasilien stammend, wird die TFP in Deutschland v.a. von dem beim Marsch anwesenden ersten Vorsitzenden Mathias von Gersdorf sowie von Paul von Oldenburg, einem Cousin der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, getragen. Das rein männliche Netzwerk lobbyiert nicht nur gegen Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch für den Austritt aus der Istanbul Konvention und die Errichtung LGBTIQ*-freier Zonen.

 

Weiterführende Informationen zu Mitgliedsorganisationen des BVL, welche in Form von Ständen, Schildern und weiteren Merchandise-Artikeln vertreten waren, finden sich in unserem Artikel aus dem Jahr 2023. Hierzu zählen Aktion Lebensrecht für alle, kurz ALfA, die Christdemokraten für das Leben (CDL), die Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren e.V. (KALEB), Sundays for life, die Stiftung ja zum Leben und die Ärzte für das Leben.

Im Vergleich zu den beiden vorigen Jahren fiel auf, dass keine richtige Stimmung aufkommen mochte. Zwar gab sich die Moderatorin Martine Hoppermann (Opus Dei) alle Mühe, die Stimmung anzuheizen – allerdings ohne Erfolg. Auch wenn die Teilnehmenden ermahnt wurden „zu jubeln und winken, wenn sie den Gegenprotest sehen“. Alles in allem wirkte die Veranstaltung routiniert, „fast wie eine Pflichtübung“ (Dahm 2025).

 

Der jährliche Marsch für das Leben ist als antifeministische Veranstaltung einzuordnen. Deutlich wird hier die Scharnierfunktion antifeministischer Organisierung zwischen christlichen FundamentalistInnen, Konservatismus und der extremen Rechten. Eine klare Abgrenzung fehlt – gerade wenn alle, auch extrem rechte AkteurInnen wie Lukreta, willkommen sind, solang sie sich gegen Schwangerschaftsabbrüche aussprechen.

 

Trotz der sinkenden Teilnehmendenzahl und der schwachen Begeisterungsfähigkeit der Teilnehmenden kann keine Entwarnung gegeben werden. Es zeigt sich, dass eine Normalisierung des Marsches einsetzt und die Vernetzung mit internationalen AkteurInnen weiter voranschreitet. Allgemein ist zu sehen, dass sich die antifeministische Szene stetig weiter ausbaut und auf juristische Auseinandersetzungen und kontinuierliche Lobbyarbeit setzt.

 

Wer mehr über die auf dem Marsch vertretene Szene erfahren möchte, kann dies unter anderem mit Hilfe des Podcast „Antifeministische Allianzen“ von Lina Dahm tun.


Dieser Text ist in Kooperation zwischen dem Projekt Spotlight - Antifeminismus erkennen und begnen und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln entstanden. Wir bedanken uns außerdem bei Lina Dahm für den kollegialen Austausch und die Verfügbarmachung der Bilderstrecke. Fotos sowie einen kurzen Bericht finden sich hier.



(1) So forderte die neurechte Frauengruppe Lukreta im Jahr 2023 „Kinderschutz statt Kinderrechte“ und sprach sich klar dagegen aus, Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen. Dies würde bedeuten, dass Eltern Kontrolle über ihre Kinder an den Staat verlieren würden. Dieses Narrativ schließt an die verschwörungsmythologische Erzählung an, dass staatliche und feministische (Lobby-)Organisationen die Familie als „Keimzelle der Nation“ zerstören wollten.

 

* Da rechte und antifeministische Vorstellungen auf einer binären Geschlechterlogik aufbauen und keine weiteren Geschlechter zulassen, werden AkteurInnen aus diesem Spektrum mit Binnen-I gegendert.

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